La La Land – Als Träumer noch träumen durften

Ein paar Dinge vorweg: „La La Land“ (2016) ist ein Musical. Also nicht erschrecken: Im Film wird gesungen und getanzt. Es gibt keine Actionsequenzen, keine Mutanten, keine Raumschiffe, keine spektakulären Verfolgungsjagden. Es fliegt nichts in die Luft – außer einem verliebten Paar.

In „La La Land“ wird den Zuschauern eine kunterbunte heile Welt vorgespielt – abseits von Problemen wie Terrorismus, Rassenkonflikten  und Flüchtlingskrise. Es geht um Liebe und um Jazz. Oh je! Gibt es nichts Wichtigeres als ein paar Tanznummern? Trotzdem überschlagen sich die Kritiker vor Begeisterung. Etliche Preise hat der Film bereits abgeräumt – darunter sechs Oscars.

La La Land

„La La Land“: Es steppt, wenn Mia (Emma Stone) und Sebastian (Ryan Gosling) sich näher kommen.  Foto: StudioCanal

Der Inhalt – und das ist der eher übersichtlichen Handlung geschuldet – lässt sich kurz zusammenfassen. Mia (Emma Stone) und Sebastian (Ryan Gosling) sind zwei Träumer in Los Angeles. Sie arbeitet als Bedienung in einem Café auf dem Warner-Bros-Gelände und strebt eine Schauspielkarriere an. Er ist Musiker und will den Jazz im Alleingang retten, indem er einen Club eröffnet. Doch ihre Träume sind nur Seifenblasen, die zu zerplatzen drohen. Bis sie sich kennenlernen. Die beiden verlieben, bestärken sich gegenseitig, an ihre Träume zu glauben. Und siehe da, das hilft sogar. Am Ende stehen beide an der Schwelle zum Erfolg. Bleibt dafür ihre Liebe auf der Strecke?

Mit „La La Land“ hat  Regie-Senkrecht-Starter Damien Chazelle nach seinem Überraschungserfolg von „Whiplash“ ein Herzensprojekt umgesetzt. Das Drehbuch stammt aus seiner Feder, die Songs aus der seines früheren Havard-Kommilitonen Justin Hurwitz. Ein Musical wie aus der guten alten Zeit, aus dem Hollywood der 1950er Jahre, gepaart mit ihrer gemeinsamen Begeisterung für Jazz. Das war ihre Idee – eben „Gene Kelly meets Thelonious Monk“, wie der Regisseur selbst sagt. Mit ihrer Nostalgie-Nummer haben Chazelle und Hurwitz  einen Nerv getroffen. Aber warum? Ist „La La Land“ der Film, auf den wir seit Jahren gewartet haben, ohne es zu wissen? Was macht den Film so besonders?

Zuerst einmal verwöhnt er Augen und Ohren gleichermaßen. Die Lieder gehen ins Ohr,  nachdem man den ersten Schock überwunden hat, dass im Film tatsächlich ständig gesungen wird. Szenenbilder und Choreografie sind geradezu berauschend, ob Steppschritt im Sonnenuntergang, der traumhaft schöne Tanz im Sternenhimmel – oder die Eröffnungsszene auf dem Highway. In dieser Plansequenz brillieren nicht nur die Darsteller, sondern vor allem Kameramann Linus Sandgren und Regisseur Chazelle, die in dem scheinbaren Chaos den Überblick behalten. Eine Meisterleistung!

Am umwerfendsten ist jedoch der Schluss. Stone und Gosling tanzen sich noch einmal durch die Stationen ihrer Liebe. Was wäre wenn … wir uns sofort verliebt hätten, wenn wir Kompromisse eingegangen wären, wenn wir an unsere Liebe geglaubt hätten, wenn wir einfach gesprungen wären – ohne nachzudenken und ohne zu bereuen. Wo würden wir dann heute stehen? Was wäre wenn? Damien Chazelles Musicalmärchen verwehrt dem Zuschauer und seinen Hauptfiguren dieses Happy End. Er lässt den Traum vom Erfolg in Erfüllung gehen. Den Traum der großen Liebe lässt er jedoch zerplatzen – aber so schön.

In „La La Land“ geht es um die Liebe – und um die Musik. Aber es ist nicht nur der Jazz, der vom Aussterben bedroht ist, sondern vor allem das Kino selbst. Weil sich keiner mehr zu interessieren scheint für die Filme der Goldenen Ära. Während der Jazz mit Sebastians neuem Klub am Ende offenbar gerettet ist, bleibt das alte Lichtspielhaus, in dem sich das Paar einst getroffen hat, geschlossen. Das kleine Haus wurde zermalmt vom Desinteresse, von der Walze der Multiplexkinos und einer Branche, in der Masse und Profit mehr zählen als Klasse. Sicher, um Profit ging es den Produzenten schon immer. Dennoch hebt sich „La La Land“ selbst wie ein Phönix aus der Asche und beschwört eine Zeit, in der das Kino noch etwas für Träumer war – ein Rückzugsort, an dem Probleme und Sorgen für zwei Stunden in den Hintergrund traten, an dem man sich berauschen ließ und auf ein Happy End hoffen konnte.

„La La Land“ (USA, 2016)
128 Minuten
Darsteller: Emma Stone, Ryan Gosling, John Legend, Rosemarie DeWitt, J. K. Simmons, Tom Everett Scott
Regie, Drehbuch: Damien Chazelle
Kamera: Linus Sandgren
Musik: Justin Hurwitz
Schnitt: Tom Cross
Produktion: Fred Berger, Gary Gilbert, Jordan Horowitz, Marc Platt

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Passengers – Schlaflos im Weltall

Man stelle sich vor: Die Prinzessin ist in einen 100 Jahre währenden Tiefschlaf gefallen – und mit ihr der ganze Hofstaat. Da kommt ein Prinz daher und weckt die schlafende Schöne – gegen ihren Willen und weit vor ihrer Zeit.

Es ist kein Zufall, dass die weibliche Hauptfigur von „Passengers“ (2016) Aurora heißt – wie Disneys Sleeping Beauty in dem Trickfilm-Klassiker „Dornröschen“ (1959). Das Science-Fiction-Drama von Regisseur Morten Tyldum orientiert sich lose an der Grimmschen Vorlage. Zudem finden sich Parallelen zu Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ und der Hollywood-Schmonzette „Titanic“. Schon 2007 war das Script von Jon Spaihts ein Geheimtipp. Jahrelang leckten sich Filmemacher die Finger danach. Es galt als eines der besten unverfilmten Drehbücher. Das ließ Großes erwarten, barg aber auch die Gefahr, dass das Ganze grandios in die Hose geht.

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Chris Pratt und Jennifer Lawrence in Passengers.      Foto: Sony

Zur Handlung: Der Sternenkreuzer Avalon ist auf dem Weg zur weit entfernten Kolonie Homestead II. An Bord: 5000 Passagiere und etliche Crewmitglieder. Sie alle befinden sich in einem künstlichen Tiefschlaf – ein Frischhalte-Koma, das sie nicht altern lässt. Denn die Reise zum neuen Heimatplaneten dauert 120 Jahre. Erst kurz vor der Ankunft sollen die Passagiere geweckt werden. So weit die Theorie. Wie der Zufall will, erwacht der Passagier Jim Preston (Chris Pratt) durch eine technische Panne ganze 90 Jahre zu früh. Und er kann nicht wieder einschlafen. Jim ist mutterseelenallein auf dem Galaxiendampfer. Seine einzige Gesellschaft ist der kellnernde Android Arthur (Michael Sheen). Um nicht an seiner Einsamkeit zu verzweifeln, weckt er die junge Aurora (Jennifer Lawrence). Die ahnt nicht, dass es Jim war, der ihr die Chance auf ein Leben in der Kolonie genommen hat, und verliebt sich in ihn. Doch Jim plagt das schlechte Gewissen. Und das marode Schiff steuert auf eine Katastrophe zu.

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Zuerst ein Himmel voller Geigen, dann der erste Krach: Chris Pratt und Jennifer Lawrence in „Passengers“.     Foto: Sony

Klingt erst einmal vielversprechend: die Isolation, Jims Verzweiflungstat, Liebe, die in Hass umschlägt – alles 1a-Zutaten für ein packendes Kammerspiel. Doch der Film scheitert an seinem eigenen Anspruch. Für eine Konstellation wie diese braucht es Schauspieler, die ihr Handwerk verstehen. Deshalb ist es unverständlich, weshalb die Wahl ausgerechnet auf Chris Pratt gefallen ist. Er mag nett aussehen, ein prima Komödiant sein, sich gut im Sattel bewegen und mit imaginären Dinosauriern und Waschbären agieren können. In „Passengers“ ist er jedoch schlichtweg überfordert. Ob mit Tränchen im Auge oder mit hängenden Mundwinkeln – man kauft ihm die Verzweiflung nicht ab. Er sieht aus wie Chris Pratt als Mechaniker verkleidet, dem man gesagt hat: „Und jetzt guck mal ganz traurig, Chris.“ Jennifer Lawrence‘ Darstellung wirkt dagegen seltsam übertrieben – wohl, weil ihr der routinierte Gegenpart fehlt. Als Zuschauer bleibt man distanziert, das Schicksal der beiden Liebenden berührt nicht. Lediglich Michael Sheen überzeugt. Sein Arthur agiert hölzern – wie es sich für einen humanoiden Roboter gehört.

Und dann geht es Schlag auf Schlag, es wird plötzlich spannend. Im letzten Drittel wandelt sich das verhältnismäßig ruhig erzählte Liebesdrama  zum Actionkracher, weil der fliegende Bunker zu explodieren droht. Das Leben der arglos schlummernden Passagiere liegt in den Händen von Chris Pratt. Oh je? Nein, keine Sorge: Action kann er. So hält er sogar einem Reaktor stand, der ganze Meteoriden zu schmelzen vermag. Lediglich ein Stückchen Blech schützt den wackeren Jim. Ein Teufelskerl! Und auch seine Aurora hat es drauf. Sie zerrt ihn zurück ins Raumschiff, als er leblos im All treibt, lässt ihn nicht einfach untergehen – wie die Kate den Leo.

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Zum Glück kann sie schwimmen: Jennifer Lawrence in „Passengers“.      Foto: Sony

Am Ende bleiben viele Fragen offen: Wieso kann der technisch begabte Jim die Schlafkammer nicht reparieren, nachdem es ihm sogar gelungen ist, ein durchlöchertes Raumschiff wieder in Gang zu setzen? Warum gibt es nur einen einzigen Autodoc – eine Art automatischer Hightech-Operationssaal – auf einem Schiff mit über 5000 Passagieren? Ist Aurora von Natur aus platinblond? Oder warum ist bei ihr im Laufe der Zeit kein dunkler Haaransatz zu sehen? Und wieso lässt ein so viel versprechendes Drehbuch den Zuschauer enttäuscht zurück?

Zur Ehrenrettung des Films sei jedoch gesagt – die Handlung fesselt durchaus. Vor allem optisch hat „Passengers“ einiges zu bieten. In Erinnerung bleibt die Szene, in der Aurora fast ertrinkt, als das Wasser im Pool plötzlich seine Schwerkraft verliert. Und der Film ist  tausendmal besser als „Independence Day: Wiederkehr“.

Aber vielleicht seht ihr das ganz anders. Hat euch der Film umgehauen? Schreibt es mir.

Passengers (USA, 2016)
117 Minuten
Darsteller: Chris Pratt, Jennifer Lawrence, Michael Sheen, Lawrence Fishburne
Regie: Morten Tyldum
Kamera: Rodrigo Prieto
Schnitt: Maryann Brandon
Musik: Thomas Newman
Drehbuch: Jon Spaihts
Produktion: Stephen Hamel, Michael Maher, Ori Marmur, Neal H. Moritz

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Im Wilden Westen nichts Neues – Die glorreichen Sieben

Sie reiten wieder und ballern, was das Zeug hält – „Die glorreichen Sieben“. Im Jahr 2016 schwingen sich Denzel Washington, Chris Pratt, Ethan Hawke, Vincent D’Onofrio und drei weitere Haudegen aufs hohe Ross, um gegen das Unrecht im Wilden Westen zu kämpfen.

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„Die glorreichen Sieben“ – ein Kultwestern reloaded. Foto: Sony Pictures

Remakes sind angesagt, aber selten notwendig. Und jedes Mal fragt man sich, was bewegt einen Produzenten dazu, einen Klassiker aus der Schublade zu ziehen und neu zu verfilmen? Wie auch bei „Die glorreichen Sieben“. In diesem Fall war es, will man Regisseur Antoine Fuqua Glauben schenken, schlicht und einfach die Annahme, dass der Film von 1960 den heutigen Kinogängern unbekannt sei. Nun mag es sicher Leute geben, die noch nie etwas von Yul Brynner, Steve McQueen, Charles Bronson, Horst Buchholz und James Coburn gehört haben, die bei der Filmmusik von Elmer Bernstein hilflos den Kopf schütteln. Aber mal ehrlich, „Die glorreichen Sieben“ zählt neben „Zwölf Uhr mittags“ und „Spiel mir das Lied vom Tod“ zu den Western schlechthin. Wer den nicht kennt, muss schon mit dem Klammerbeutel gepudert sein.

Remake vom Remake

Dabei ist die 1960er Version selbst ein Remake. Regisseur John Sturges nutzte damals den vielbeachteten 200-Minüter „Die sieben Samurai“ (1954) von Akira Kurosawa als Vorlage, tauschte Schwerter gegen Colts und verlegte die Handlung vom Japan des 16. Jahrhunderts in die Zeit des Wilden Westens irgendwo zwischen den USA und Mexiko – und fertig war der Kultwestern.

Dem hat Fuqua im Jahre 2016 nicht wirklich viel Neues hinzuzufügen. Okay, Denzel Washington als Anführer des Septetts – das hätte es sowohl im 19. Jahrhundert als auch im Hollywood der 1960er nicht gegeben. Die Westernfilme jener Zeit waren blütenweiß. Vor dem Hintergrund der Diversity-Debatte in den USA ist es ein Zeichen und ein Schritt in die richtige Richtung, Washington einmal mehr als leading man zu besetzen – übrigens nach „Training Day“ (2001) und „The Equalizer“ (2014) die dritte Zusammenarbeit von Washington und Regisseur Antoine Fuqua.

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„Die glorreichen Sieben“ – auch als Duo nicht übel: Denzel Washington und Chris Pratt. Foto: Sony Pictures

Die Story bleibt die gleiche. Sieben mehr oder weniger rechtschaffende Revolverhelden tun sich zusammen, um ein Provinzkaff von Unholden zu befreien. In der Version von 2016 ist es eine hübsche Lady in Nöten (Haley Bennett), die die Männer überzeugt, selbstlos zu helfen, anstatt wie sonst in die eigene Tasche zu wirtschaften. Nachdem sich die Sieben gefunden haben, reiten sie in die Schlacht und in dem sicheren Tod – einige von ihnen zumindest. Denn Bösewicht Bogue (Peter Sarsgaard) hat nicht nur eine halbe Armee um sich gescharrt, er bedient sich auch einer Waffe, die wie ein antiquiertes Maschinengewehr anmutet. Mit Hilfe der Dorfbewohner gelingt es den „Glorreichen Sieben“ nach einem schier endlosen Pistolenfeuerwerk aber selbstverständlich, die Bösen zur Strecke zu bringen.

Das Erfrischende neben den flotten Sprüchen der Protagonisten ist dabei der Verzicht auf Special Effects. Dafür kommen jede Menge Stuntmen zum Einsatz. Und wenn im Film eine Bretterkulisse explodiert, fliegt sie auch wirklich in die Luft. Das macht den Film zwar nicht automatisch zum Hit. Dennoch ist er nett anzusehen, erinnert er doch in seiner Machart an die Goldene Zeit der Western. Und wenn beim Abspann endlich die berühmte Bernstein-Melodie ertönt, kommt sogar so etwas wie Nostalgie auf.

Wie ist es bei euch? Original oder Fälschung? Was bevorzugt ihr?

„Die glorreichen Sieben“ (USA, 2016)
133 Minuten
Darsteller: Denzel Washington, Chris Pratt, Ethan Hawke, Vincent D’Onofrio, Byung-hun Lee, Manuel Garcia-Rulfo, Martin Sensmeier, Haley Bennett, Peter Sarsgaard, Matt Bomer, Luke Grimes
Regie: Antoine Fuqua
Drehbuch: Nick Pizzolatto, Richard Wenk
Kamera: Mauro Fiore
Schnitt: John Refoua
Musik: James Horner, Simon Franglen
Produktion: Roger Birnbaum, Todd Black

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Bleib besonders – Die Insel der besonderen Kinder

Die Welten, die Tim Burton erschafft, sind bunt und düster zugleich – und voller merkwürdiger Gestalten. Sonderlinge haben es dem Filmemacher angetan. Sie und ihr Bestreben, der Isolation zu entfliehen, von ihrer Umwelt anerkannt und ein Teil von ihr zu werden.

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„Die Insel der besonderen Kinder“: Miss Peregrine (Eva Green) verteidigt ihre Schützlinge bis aufs Blut. Foto: 20th Century Fox

In Tim Burtons neuestem Streich „Die Insel der besonderen Kinder“ haben sich die Sonderlinge in ihre eigene, sichere Welt zurückgezogen, sie leben abseits der Gesellschaft, müssen sich aber auch in dieser Welt gegen Eindringlinge zur Wehr setzen, um zu überleben.

Dabei fühlt sich der 16-jährige Jake (Asa Butterfield) überhaupt nicht besonders. Die meiste Zeit kommt er sich sogar unsichtbar vor – ignoriert von den Mitschülern, von den Eltern. Nur sein Großvater (Terence Stamp) schenkt ihm Beachtung. Leider hat der kürzlich das Zeitliche gesegnet. Brutal niedergemetzelt, seiner Augen beraubt. Wer tut so etwas? War es ein Tier – oder vielleicht doch eines der Monster, von denen der Großvater so oft erzählt und gewarnt hat?

Monstermäßig fantastisch

Gibt es diese Monster wirklich? Und mit ihnen Miss Peregrine und ihr Heim für besondere Kinder, in dem der Großvater während des Zweiten Weltkriegs Zuflucht gefunden haben will. Sind dies Erinnerungen?  Oder sind es die Fantasien eines Holocaust-Überlebenden? Jake will es herausfinden, reist mit seinem Vater zu der kleinen walisischen Insel, auf der sich das Heim befunden haben soll. Zu seiner Überraschung existiert es tatsächlich, nur viel ist nicht mehr übrig. 1944 fiel das Haus einem Bombenangriff der Nazis zum Opfer und mit ihm seine Bewohner.

Und jetzt wird es fantastisch: Durch eine Art Schlupfloch gelangt Jake in eine Zeitblase, die die Heimbewohner konserviert hat, die sie in einer Endlosschleife immer wieder den Tag des Bombenangriffs erleben lässt. Zuerst ist Jake skeptisch. Hat er sich nur etwas zu heftig am Kopf gestoßen, oder sind die Geschichten seines Großvaters wahr? Sie stehen wahrhaftig vor ihm: Miss Peregrine (Eva Green) und die Kinder mit ihren besonderen Fähigkeiten – das Luftmädchen, der Unsichtbare, die Feurige. Sie heißen ihn willkommen.

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„Die Insel der besonderen Kinder“: Jeder ist besonders – auf seine eigene Art. Foto: 20th Century Fox

Wie Jake bald erfährt, ist er alles andere als gewöhnlich und unbedeutend. Auch er ist besonders. Er ist derjenige, der die Kinder retten kann. Er ist der einzige, der die unsichtbaren Monster sieht. Und die haben es auf die Kinder abgesehen. Ein Kampf auf Leben und Tod beginnt.

Tiefe Abgründe

„Die Insel der besonderen Kinder“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Ransom Riggs. Eine wahre Spielwiese für Tim Burton, auf der sich der Visionär austoben kann. Im Film stehen sich zwei Welten gegenüber: Jakes Realität im Jahr 2016 ist kalt, farblos, ungemütlich – kein Ort, an dem man sich gerne aufhält. Die Welt innerhalb der Zeitblase zeichnet Burton in kräftigen, warmen Farben. Die alte Villa und der verwunschene Garten mit seinen versteckten Winkeln wirken wie in Zauberreich – einladend und mystisch zugleich.

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„Die Insel der besonderen Kinder“: Jake (Asa Butterfield) und die luftig-leichte Emma (Ella Purnell). Foto: 20th Century Fox

Wie schon bei „Big Fish“ und „Alice im Wunderland“ begibt sich Burtons Protagonist in eine Parallelwelt, die auf den ersten Blick zauberhaft ist, aber viele Geheimnisse und tiefe Abgründe birgt. Gut und Böse stehen einander gegenüber, bekämpfen sich bis auf die Zähne. Burton gelingt es meisterhaft, die sonderbaren Wesen in dieser Welt zum Leben zu erwecken. Dabei halten er und Drehbuchautorin Jane Goldman sich zwar nicht immer ganz an die Romanvorlage. Das ist aber überhaupt nicht störend. Eva Green gibt als stets Pfeife rauchende und überkorrekte Miss Peregrine eine herrlich düstere Mary Poppins, die ihre Schützlinge bis aufs Blut verteidigt. Samuel L. Jackson blüht so richtig auf als zähnefletschender Kinderschreck Barron. So viel Spaß hat der Filmbösewicht („Pulp Fiction“, „The hateful 8“) lange nicht gemacht. Und Asa Butterfield („Hugo Cabret“) hat sich vom jungen Talent zum Schauspieler gemausert. Sein Jake steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Er erkennt schließlich, dass menschliche Perfektion eine Illusion ist. Dass es die kleinen Makel sind, die einen Menschen ausmachen, die ihn besonders machen. Er entscheidet sich dafür, sich treu zu bleiben und zu seinen Makeln zu stehen, anstatt sich anzupassen. Stay peculiar, bleib besonders!

„Die Insel der besonderen Kinder“ ist Augenfutter pur – Szene für Szene, bis auf wenige Ausnahmen. Ein Märchen für Jung und Alt. Bildgewaltig und fesselnd. Ich habe den Film genossen.

Was ist euer Lieblingsfilm von Tim Burton? Die alten „Batman“-Schinken, „Edward mit den Scherenhänden“, „Sleepy Hollow“ oder ein ganz anderer? Schreibt mir.

„Die Insel der besonderen Kinder“ (USA, UK, Belgien 2016)
127 Minuten
Darsteller: Asa Butterfield, Ella Purnell, Eva Green, Samuel L. Jackson, Judi Dench, Allison Janney, Chris O’Dowd, Terence Stamp, Milo Parker, Raffiella Chapman
Regie: Tim Burton
Drehbuch: Jane Goldman
Kamera: Bruno Delbonnel
Schnitt: Chris Lebenzon
Musik: Michael Higham, Matthew Margeson
Produktion: Peter Chernin, Jenno Topping

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FRANTZ – Von der Sehnsucht nach Vergebung

Mit „Frantz“ hat Regisseur Francois Ozon Neuland betreten. Nie zuvor hat sich der französische Filmemacher dem Thema Erster Weltkrieg gewidmet. Erstmals hat er außerhalb seines Heimatlandes gedreht, hat er Kriegs- und Kampfszenen gefilmt. Für Ozon eine große Herausforderung, wie er selbst sagt. Auch dem Zuschauer verlangt er bei „Frantz“, seinem inzwischen 16. Spielfilm, einiges ab: Szenen in deutscher und in französischer Sprache, der Wechsel von Farbe zu Schwarzweiß, die entschleunigte Erzählweise. Das ist anders und ungewohnt. Aber genau das und dazu das sensible Spiel der Hauptdarsteller machen „Frantz“ zu einem der sehenswertesten und eindrucksvollsten Filme der letzten Jahre.

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Anna (Paula Beer) erzählt Adrien (Pierre Niney) von Frantz. Foto: X Verleih

Zur Handlung: Anna (Paula Beer) trauert um ihren Verlobten. Frantz (Anton von Lucke) war Soldat, ist im Ersten Weltkrieg gefallen. Jeden Tag legt sie Blumen auf sein Grab. Der Weg durch die Straßen des Harzstädtchens hin zum Friedhof ist für Anna zur Routine geworden. Eine Routine, die dem aus den Fugen geratenen Leben der jungen Deutschen einen Rahmen bietet – die ihr selbst Halt gibt. Diese Routine wird eines Tages durch einen Unbekannten (Pierre Niney) durchbrochen. Anna beobachtet, wie er an Frantz‘ Grab trauert.

Schuld und Sühne

Kurz darauf nimmt der Franzose Kontakt zu Frantz‘ Eltern (Ernst Stötzner, Marie Gruber) auf. Er sei ein Freund von Frantz gewesen, habe ihn vor dem Krieg bei einem Aufenthalt in Paris kennen gelernt. Mit dem Tod des Freundes habe auch er einen Verlust erfahren, sagt er. Vor allem der Vater sträubt sich zuerst dagegen, Adrien Gehör zu schenken. So kurz nach dem Krieg, nach der Niederlage der Deutschen sieht er in jedem Franzosen einen Feind. Schließlich könnte jeder von ihnen der Mörder seines Sohnes sein. Doch war er es nicht selbst, der Frantz gedrängt hat, zur Waffe zu greifen, in die Schlacht zu ziehen und andere Söhne zu töten? Hat er sich dadurch nicht selbst schuldig gemacht?

Schuld und Vergebung sind die großen Themen von „Frantz“. Hat nicht jeder während des Krieges Schuld auf sich geladen? Und sehnt sich später nicht jeder nach Vergebung? Danach, dass ihm andere vergeben. Und danach, irgendwann sich selbst vergeben zu können. Auch Adrien möchte das. Auf Wunsch der Familie erzählt er von seiner Freundschaft zu Frantz, spielt sogar auf der Geige des Verstorbenen, nimmt für kurze Zeit dessen Platz ein. „Haben Sie keine Angst, uns glücklich zu machen“, sagt Frantz‘ Mutter zu ihm. So ist es an Adrien, Trost zu spenden und den Trauernden Momente des Glücks zu bescheren.  Anna entgeht dabei nicht, dass auch Adrien vom Krieg gezeichnet ist. „Meine größte Narbe ist Frantz“, gibt er zu. Adrien hat mit seinem eigenen Trauma zu kämpfen. Und mit einem Geheimnis, das ihn quält. Denn er hat Frantz‘ Familie belogen.

Authentisch

Francois Ozon erzählt die Geschichte in nüchternen, fast bedrückenden Schwarzweiß-Bildern. Nur wenn Hoffnung aufkeimt, kommt Farbe ins Spiel. Für den Zuschauer ist der Sprung von Farbe zu farblos nicht immer nachvollziehbar. Aber um Logik geht es Ozon nicht. Wie die Venen im Körper werden die Schwarzweiß-Einstellungen des Filmes von der Farbe durchblutet, erläutert der Regisseur. Der Effekt: Der bewusste Verzicht auf Farbe lässt die Bilder authentisch wirken. Kennen wir den Ersten Weltkrieg nicht eigentlich nur von Schwarzweiß-Aufnahmen, von alten Fotos? Selbst die Emotionen der Protagonisten haben etwas Dokumentarisches und dadurch höchst Glaubwürdiges – wenn plötzlich der Hauch eines Lächelns über das Gesicht des verbitterten Vaters huscht, wenn Anna gegen ihre aufflammenden Gefühle ankämpft. Im Gegensatz dazu der Einsatz von Farbe in der letzten Szene des Films, wenn Annas Lust am Leben mit aller Macht zurück kehrt.

„Frantz“ ist ein Film über die Folgen des Ersten Weltkrieges in Deutschland und Frankreich. Über Trauer und Wut auf beiden Seiten, über Schuld und Sühne – und über den Wunsch der Menschen, weiter leben und wieder lieben zu können. Zutiefst berührend und lange nachwirkend.

„Frantz“, Frankreich, Deutschland 2016
113 Minuten
Darsteller: Paula Beer, Pierre Niney, Ernst Stötzner, Marie Gruber, Johann von Bülow, Anton von Lucke, Cyrielle Clair, Alice de Lencquesaing
Regie: Francois Ozon
Drehbuch Francois Ozon (frei nach „Broken Lullaby“ von Ernst Lubitsch (1931)
Kamera: Pascal Marti
Musik: Philippe Rombi
Schnitt: Laure Gardette
Produzenten: Stefan Arndt, Uwe Schott, Eric und Nicolas Altmayer

Wie seht ihr das? Fehlt euch etwas, wenn ein Film in Schwarzweiß gedreht ist?

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Manchmal kommen sie wieder – Independence Day: Wiederkehr

Fortsetzungen sind für Roland Emmerich ein rotes Tuch – gewesen. Bis vor einigen Jahren hat sich der Regisseur vehement gegen Sequels und Reboots zur Wehr gesetzt. Aber wie heißt es so schön: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Im stillen Kämmerlein arbeitet Emmerich schon seit einer Weile an einer Neuauflage von „Stargate“ (1994). Die Fortsetzung seines Blockbusters „Independence Day“ (1996) lief vor kurzem in den Kinos an. Die technischen Möglichkeiten von heute würden ihn reizen, so Emmerich. Sie hätten den Ausschlag für seinen plötzlichen Meinungswandel gegeben. Darüber hinaus die Chance, mit einer Riege frischer junger Darsteller zu arbeiten und die Geschichte von einst weiter zu spinnen. Nun ja, das Geld wird auch eine Rolle gespielt haben.

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„Independence Day: Wiederkehr“ – Unheil ist im Anmarsch, rette sich, wer kann. Foto: 20th Century Fox

Hoffentlich hat es das. Dann wäre am Ende wenigstens einer zufrieden – nämlich Regisseur und Produzent Roland Emmerich. Ich als Zuschauer bin es nicht. Dabei habe ich wirklich hohe Erwartungen in „Independence Day: Wiederkehr“ gesetzt. Gerade weil mich der Film vor 20 Jahren so umgehauen hat.

Independence Day – ein Film mit finalem Knalleffekt

Jeff Goldblum, Will Smith und Bill Pullman – das war der Stoff, aus dem die Helden sind: schlagkräftig, schlagfertig – und verdammt cool. Da überlegt man es sich als Alien doch glatt zweimal, ob man anfängt, auf der Erde rumzupöbeln. Judd Hirsch und Randy Quaid gaben die Sidekicks, die für die nötigen Lacher sorgten. Dazu die Effekte, mit denen Emmerich die halbe Welt in Schutt und Asche legte. Auch die Handlung selbst – die bewährte Mischung aus Katastrophen- und Actionfilm – funktionierte. Wie war das doch gleich? Außerirdische wollen die Erde besiedeln, müssen vorher aber noch schnell die Menschheit vernichten. Den Erdlingen schmeckt das gar nicht, und nach einigen Irrungen und Wirrungen schicken sie ein finales Zerstörungskommando hinauf zur Alien-Flotte. Das Ganze trägt sich am 4. Juli zu – dem Unabhängigkeitstag der Amerikaner, der dem Film auch gleich den schmissigen Titel lieferte. Und am Ende gibt es ein Feuerwerk. Das war einfach – einfach mitreißend und einfach effektiv. Das Popcornkino der 90er – beste Unterhaltung.

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„Independence Day: Wiederkehr“ – Die alten Haudegen gibt es auch noch: Jeff Goldblum (links) und Bill Pullman. Foto: 20th Century Fox

Wie gesagt, ich hatte hohe Erwartungen an „Independence Day: Wiederkehr“. Und das war wohl auch das Problem. Wenn sich einer 20 Jahre Zeit lässt, bis er seine eroberungswütigen Aliens wieder auf die Erde hetzt, möchte man meinen, dass er die Zeit gut genutzt hat, dass er uns erneut umhauen will. Hat er aber nicht.

Auch im Film sind 20 Jahre vergangen. Nachdem die Menschen die bösen Aliens auf den Mond geschossen haben (im übertragenen Sinne), sind sie selbst auf dem Erdtrabanten gelandet. Der Mond ist zur Verteidigungsbasis gegen feindliche Übergriffe aus dem All aufgerüstet worden – für den Fall, dass die tentakelschwingenden Außerirdischen eines Tages zurückkehren. Und Überraschung – das tun sie auch. Die Menschen setzen erneut zuerst das halbe Militär in den Sand, sind erneut überrascht, dass die Aliens sich mit einem Schutzschild schützen. Erneut halten die Menschen aller Herren Länder zusammen – um am Ende erneut zuzuschauen, wie die Amis die Erde retten. Zwischendrin wird wieder die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt. Man muss ja schließlich was zu sehen kriegen für die vielen Millionen Dollar, die allein für die Special Effects verpulvert wurden.

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„Independence Day: Wiederkehr“ – Soll die Welt retten – Liam Hemsworth. Foto: 20th Century Fox

Wo ist die Fat Lady?

Viele Motive wiederholen sich. Neue Ideen wie die extraterrestriale künstliche Intelligenz und die monströse Alienkönigin sind zwar nett anzuschauen, zünden aber nicht wirklich. Und die neue Schauspielerriege? Ehrlich gesagt, habe ich die achso frischen und unverbrauchten Gesichter schon wieder vergessen. Okay, an Liam Hemsworth erinnere ich mich. Aber auch nur, weil sein großer Bruder Thor heißt. Und Charakterdarstellerin Charlotte Gainsbourg ist eine komplette Fehlbesetzung. Der gute Will Smith muss das Debakel geahnt haben, als er für den Film absagte. Was seltsamerweise fehlt, ist die Fat Lady – die Zigarre, die die Piloten nach ihrem Sieg paffen. Warum Emmerich bei all den anderen Wiederholungen ausgerechnet darauf verzichtet, ist mir schleierhaft.

Was bleibt, ist ein schaler Geschmack, das Gefühl von Enttäuschung, die Erkenntnis, dass man sich öfter an sein Geschwätz von gestern erinnern sollte.  Der einzige Lichtblick ist Jeff Goldblum, der mit inzwischen über 60 Jahren immer noch unglaublich gut aussieht. So gut, dass er es nicht nur mit auf Krawall gebürsteten Aliens, sondern auch mit einer Horde wildgewordener Dinos aufnehmen könnte 🙂

Independence Day: Wiederkehr (USA, 2016)
120 Minuten
Darsteller: Jeff Goldblum, Bill Pullman, Liam Hemsworth, Jessie Usher, Maika Monroe, Sela Ward, Charlotte Gainsbourg, Vivica A.Fox, William Fichtner, Brent Spiner, Judd Hirsch, Joey King
Regie: Roland Emmerich
Drehbuch: Carter Blanchard, Dean Devlin, Roland Emmerich
Kamera: Markus Förderer
Schnitt: Adam Wolfe
Musik: Harald Kloser, Thomas Wander
Produktion: Dean Devlin, Roland Emmerich, Harald Kloser

Seid ihr auch so enttäuscht aus dem Kino gegangen? Hat euch irgendetwas an dem Film umgehauen? Schreibt mir.

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Auf die Tränendrüse – EIN GANZES HALBES JAHR

„Ein ganzes halbes Jahr“ mit Emilia Clarke und Sam Claflin. Foto: Ivonne Sielaff

Lebenslustige junge Frau verliebt sich in lebensmüden Millionär – die perfekte Konstellation für große Gefühle. Taschentuchkino hat seit einigen Jahren Hochkonjunktur. Erst waren es die Romanverfilmungen von Nicholas Sparks und Cecelia Ahern, die den Kinobesuchern das Wasser in die Augen trieben. Jetzt ist auch Jojo Moyes in diesen illusteren Kreis aufgestiegen. Für „Ein ganzes halbes Jahr“ lieferte die britische Autorin nicht nur die literarische Vorlage, sondern das Drehbuch gleich dazu.

Regisseurin Thea Sharrock verfilmte den Stoff und tauchte ihn in Bonbonfarben. So bunt haben wir England, wo die dramatische Liebesgeschichte angesiedelt ist, seit „Austin Powers“ nicht mehr gesehen. Die Klamotten von Protagonistin Louisa (Emilia Clarke) sind so quietschbunt wie ihr Zuhause. Mutter, Schwester und sie selbst sehen aus, als wären sie einer Cornflakes-Werbung entsprungen. Dabei steht die Familie vor dem Ruin. Denn der Vater ist arbeitslos. Damit sie und ihre Lieben nicht am Hungertuch nagen, muss Louise für den Lebensunterhalt sorgen. Dumm nur, dass sie ihren Job in einem Café verloren hat.

Doch Louise hat Glück im Unglück, denn schnell tut sich eine neue berufliche Perspektive für sie auf. Die reichsten Leute im Ort suchen eine Pflegerin für ihren Sprössling. Lebemann Will (Sam Claflin) ist seit einem Unfall ans Bett gefesselt und sehnt den Tod herbei. Ein ganzes halbes Jahr muss er noch durchhalten, das hat er seinen Eltern versprochen. Danach will er seinem Leben ein Ende setzen. Doch die Eltern verfolgen einen anderen Plan. Vielleicht gelingt es ihnen mit Hilfe der hübschen jungen Pflegerin, ihren Sohn von seinem Vorhaben abzubringen.

Es kommt, wie es kommen muss. Louise verliebt sich in den depressiven Schnösel, er offenbart ihr seinen weichen Kern. Das Leben ist schön, also leb und lieb mich- davon will sie Will überzeugen. Klassikkonzerte, Pferderennen – schnell taucht die ganz arme Louise in die Welt der ganz Reichen ein – Fremdschäm-Momente a la „My Fair Lady“ inklusive.

Happy End? Fehlanzeige. Denn Will will nicht mehr – trotz der aufkeimenden Gefühle. Das Ende ist so vorhersehbar wie der Ausgang der letzten Bundesligasaison … Und links und rechts von mir im Kino knisterten die Taschentücher und schnieften die Nasen. Nur bei mir wollten die Tränen nicht rollen. Warum? Es war einfach too much: Die Gesichter der Liebenden in Großaufnahme, die Musik schwillt an. Ihre Lippen beben. Er schließt die Augen. Und jetzt bitte weinen, liebe Zuschauer! Nein, danke. Das ist Gefühlsduselei mit dem Holzhammer. Da verweigere ich mich. Das ist so zum Heulen, dass es schon wieder amüsant ist. Wenigstens bin ich nicht eingeschlafen.

Warum man den Film nicht schauen sollte: Weil Weinen unter Fremden peinlich ist. Weil man Kopfschmerzen bekommt, wenn man die Tränen unterdrückt. Weil der Herz-Schmerz in „Ein ganzes halbes Jahr“ so zucker-klebrig-süß ist, dass es fast weh tut.

Warum man den Film trotzdem schauen sollte: Wegen Emilia Clarke, die als Louise den ganzen Film trägt, die trotz ihrer enorm beweglichen Augenbrauen einfach bezaubernd ist. Und auch wenn man nicht gelähmt und kein „Games of Thrones“-Fan ist, erliegt man schnell ihrer Präsenz und ihrem Charme.

Wie ist es mit euch? Geht ihr zum Weinen ins Kino oder in den Keller? Und welcher Film hat euch zuletzt so richtig zum Weinen gebracht?

„Ein ganzes halbes Jahr“ (USA 2016)
110 Minuten
Darsteller: Emilia Clarke, Sam Claflin, Janet McTeer, Charles Dance, Brendan Coyle, Jenna Coleman, Matthew Lewis
Regie: Thea Sharrock
Drehbuch: Jojo Moyes
Produktion: Alison Owen, Karen Rosenfelt
Kamera: Remi Adefarasin
Schnitt: John Wilson
Musik: Craig Armstrong

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FRITZ LANG – Auf der Spur der Bestie

Fritz Lang

Es gibt Filmmusik, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Die Violinen in der Duschszene von „Psycho“, das nur aus zwei Noten bestehende Thema beim Herannahen des Monstrums in „Der weiße Hai“ – oder auch die gepfiffene Melodie in  „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931).

Eben dieses Liedchen („Peer-Gynt-Suite“ von Edvard Grieg) verursacht Gänsehaut bei mir, wann immer ich es höre. In „M“ pfeift Kindermörder Hans Beckert (Peter Lorre) diese Melodie. Ein Blinder erkennt sie und überführt die Bestie. Die Erkenntnis am Ende: Dem Mörder wird der Prozess gemacht, aber die getöteten Kinder bringt das nicht zurück. „M“ war Fritz Langs („Metropolis“, „Dr. Mabuse“) erster Tonfilm. Ein Meilenstein, auch weil es dem Österreicher gelang, die Möglichkeiten des neuen Mediums nicht nur zu bedienen, sondern künstlerisch auszuschöpfen.

Was hat Fritz Lang dazu bewogen, sich diesem Thema zu widmen? Was hat ihn zu dem Drehbuch inspiriert? Wie denkt man sich in die Psyche eines Mörders? Diesen Fragen versucht der Historiker Gordian Maugg in seinem Film „Fritz Lang“ (2016) auf den Grund zu gehen. Kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm, der Fiktion und Realität miteinander verwebt – mit Heino Ferch, der Allzweckwaffe des deutschen Films, in der Titelrolle.

Vor allem in Hollywood ein beliebter Stoff – der Einblick in die Film- bzw. Theaterbranche und in die Entstehungsgeschichte eines bekannten Werkes. „Saving Mr. Banks“ (Mary Poppins) und „Hitchcock“ (Psycho) sind mehr oder weniger gelungene Beispiele dafür. Am ähnlichsten ist „Fritz Lang“ jedoch „Shakespeare in Love“. Auch wenn der Film kein bisschen romantisch ist, die Parallelen liegen auf der Hand: Ein Autor mit Schreibblockade auf der Suche nach Inspiration. Bei „Shakespeare“ ist es Lady Viola, die ihn die Muse küssen lässt (und einiges mehr). Bei „Fritz Lang“ ist die Bestie von Düsseldorf – der Massenmörder Peter Kürten. Der Autor überwindet seine Blockade. Und am Ende steht ein fertiges Drehbuch. Auch wenn das meiste davon rein spekulativ ist, für einen spannenden wie unterhaltsamen Film reicht das allemal.

Die Leiche im Keller

Und dieser Fritz Lang war kein Kind von Traurigkeit. Im wahren Leben wie im Film. In der Berliner Partyszene soll er es ordentlich krachen gelassen haben. Dazu hatte er eine Leiche im Keller – im wahrsten Sinne des Wortes. Seine erste Ehefrau starb durch eine Kugel aus seiner Waffe. Die genauen Umstände des Todes sind bis heute ungeklärt.

Maugg macht sich das zunutze. Sein Lang begibt sich auf die Spur des Mörders – und hier beginnt die Fiktion. Gleichzeitig setzt er sich mit seinen eigenen Dämonen auseinander. Was macht einen Menschen zum Mörder? Was empfindet man im Moment des Tötens? Ist es Reue oder Genugtuung? Lang muss das wissen. Als er dem Mörder schließlich gegenüber sitzt, ist es wie der Blick in den Spiegel. Kürten ist ein kranker Geist. Durch die Konfrontation mit dem Mörder versucht Lang, sein eigenes Trauma zu überwinden. So weit so gut. Denn das ist die große Schwäche des Films. Der fiktive Lang  hat nicht nur mit einem Trauma zu kämpfen, sondern gleich mit drei: Die tote Frau, das Grauen des Krieges und der Konflikt mit dem Vater. Na was denn nun? Gordian Maugg verzettelt sich. Dem Zuschauer fällt es schwer zu folgen.

Die Bestie ist unter uns

Für einen deutschen Film ganz gut – das wäre ein unbefriedigendes Urteil. Ein Film sollte für sich stehen, die Messlatte immer auf gleicher Höhe hängen. Trotz der dramaturgischen Mängel ist Gordian Maugg ein kleines Meisterwerk gelungen, was unter anderem dem Hauptdarsteller zu verdanken ist. Immer wieder zeigt die Kamera Heino Ferchs Gesicht. Ein Gesicht in Großaufnahme, das kaum Regung zeigt. Dennoch spürt man die Dunkelheit der Langschen Seele, das Brodeln unter der Oberfläche. Mauggs Film überzeugt vor allem optisch. So setzt der Regisseur elegante Spielszenen in Schwarz-Weiß gegen körniges Dokumentarmaterial. Mit dem Verzicht auf Farbe beschreibt der Film das Zeitkolorit der 30er Jahre – jene Zeit, in der eine viel größere Bestie erwachte.

„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ ist entstanden, als sich der Gedanke des Nationalsozialismus in den Köpfen vieler Deutsche einnistete. Was macht einen Menschen zur Bestie? Wie es heißt, waren es nicht nur Massenmörder, die Fritz Lang inspirierten, sondern die diffuse Angst vor dem, was kommen sollte. Auch deshalb lässt mich diese gepfiffene kleine Melodie immer wieder erschaudern.

„Fritz Lang“ (Deutschland 2016)
104 Minuten
Darsteller: Heino Ferch, Thomas Thieme, Johanna Gastdorf, Samuel Finzi, Lisa Charlotte Friederich, Michael Mendl
Regie: Gordian Maugg
Drehbuch: Alexander Häusser, Gordian Maugg
Kamera: Moritz Anton, Lutz Reitemeier,
Schnitt: Angela Tippel, Olivia Retzer, Florentine Bruck
Musik: Tobias Wagner
Produzent: Nicole Ringhut

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HAIL, CAESAR! – Liebeserklärung an die Filmbranche der 50er

Hail, Casar!

„Hail, Caesar!“: Josh Brolin als Hollywood-Fixer Eddie Mannix. Foto: Universal Pictures

Wer es bei Capitol Pictures schaffen will, hält sich besser an Eddie Mannix. Als Fixer (Produktionsmanager) ist er in Hollywood der Mann für alles. Er hat ein Auge auf kapriziöse Filmstars, sorgt dafür, dass die Dreharbeiten für die neuesten Blockbuster der Traumfabrik wie am Schnürchen laufen, kehrt kleinere und größere Skandale unter den Studioteppich. Denn das Schlimmste, das Allerschlimmste, was einem Filmproduzenten passieren kann, ist dass sein Star von Klatschreportern ins falsche Licht gerückt wird. Nicht auszudenken …

Mit „Hail, Caesar!“ haben Joel und Ethan Coen diesem Eddie Mannix ein weiteres filmisches Denkmal gesetzt. Denn den Fixer von Hollywood gab es wirklich. Mannix war in den 1930er und 1940er Jahren berühmt-berüchtigt. Die Vertuschung von Vergewaltigungen oder außerehelichen Kindern war dabei für ihn eher alltägliche Routine. Der Mann, so munkelt man, schreckte nicht einmal vor Mordkomplotts zurück, wenn sie der Sache dienten.

Die doppelte Tilda Swinton

Gegen den echten Mannix – oder das, was die Legendenschreiber von Hollywood aus ihm gemacht haben – ist der von Josh Brolin gespielte Fixer ein wahrer Sonnenschein, dessen größte Sünden heimliche Zigaretten sind. Die Coen-Brüder zeigen ihn als patenten wie korrekten Workaholic, der beinahe täglich am Burnout vorbei zu schrammen scheint. Er hat aber auch viel um die Ohren.

Da ist Wassernixe DeeAnna (Scarlett Johansson), die von einem verheirateten Regisseur schwanger ist. Da ist der dümmliche Westernheld Hobie Doyle (Alden Ehrenreich), der von hier auf jetzt zum Charakterdarsteller aufgebaut werden soll. Da sind die unheimliche Klatschkolumnistin Thora (Tilda Swinton) und ihre noch viel unheimlichere Zwillingsschwester Thessaly (Tilda Swinton), die immer in den unpassendsten Momenten auftauchen und den vom Stress gebeutelten Mannix fast zu Tode erschrecken. Da ist der überteuerte Monumentalfilm, dessen Dreharbeiten kurz vor dem Abschluss stehen, als plötzlich Hauptdarsteller Baird Whitlock (George Clooney) von einer Horde unterbezahlter kommunistischer Drehbuchautoren gekidnappt wird und sich dann auch noch mit ihnen verbrüdert. Und das ist nur ein Tag im Leben von Eddie Mannix. Der Mann ist nicht zu beneiden, aber er lebt und liebt seinen Job – so sehr, dass er am Ende sogar das lukrative Angebot eines Headhunters ausschlägt.

scarlett klein

„Hail, Caesar!“: Scarlett Johansson wandelt auf den feuchten Spuren von Esther Williams. Foto: Universal Pictures

„Hail, Caesar!“ ist als Episodenfilm angelegt. Als roter Faden dient Fixer Mannix , dem der Zuschauer ein paar Stunden lang bei seiner Arbeit über die Schulter schauen darf. Und das ist amüsant, vor allem wenn man die vielen Anspielungen der Coen-Brüder auf das Starsystem Hollywoods sowie auf Filmbranche und die Stars der 50er Jahre versteht – ob Western, Synchronschwimm-Spektakel, opulent ausgestattete Liebesschmonzette oder Sandalen-Epos, ob Audie Murphy, Esther Williams, Gene Kelly oder Hedda Hopper.

Selbst wenn es nicht um den Film im Film geht, bedienen sich die Coen-Brüder gewollt klischeehaft bei Genres wie dem Horrorfilm (Thora und Thessaly) oder dem Film Noir (Jonah Hill). Ganz nach dem Motto: Lange nicht gesehen und trotzdem wieder erkannt. Das macht den Film so unwiderstehlich. In jeder Szene ist die Liebe zum Kino zu spüren, die Begeisterung der Coens für die Filme der 50er Jahre – eine Zeit, in der auf der Leinwand noch heile Welt herrschte, es aber hinter den Kulissen mächtig brodelte. Man denke an Kommunistenverfolgung, Rassentrennung, Generationskonflikte. Eine Zeit des Wandels – auch was den Film als Unterhaltungs- und Kunstmedium betrifft.

Das rätselhafte Verschwinden von Dolph Lundgren

Was von „Hail, Caesar!“ im Gedächtnis bleibt, ist die Freude über die kleinen Momente des Erkennens, des Erinnerns. Beispielsweise der Matrosentanz von Channing Tatum und das Wasserballett von Scarlett Johansson als Hommagen an Gene Kelly und Esther Williams. Dagegen ist die Szene von Dolph Lundgren als russischer U-Boot-Kommandeur für immer im filmischen Mülleimer gelandet. Ob das gut ist oder schlecht ist, da ringe ich noch mit mir.

Das größte Plus ist aber nicht die Star-Riege um Tatum, Johansson, Clooney und Brolin, sondern Alden Ehrenreich. Der 26-jährige Amerikaner spielt als unterbelichteter aber liebenswerter Rodeoreiter sprichwörtlich jeden an die Wand. („Wenn man Statisten sieht, weiß man nie, was der denken tut.“) Als Charakterdarsteller wider Willen mag seinem Hobie Doyle das freudlose Lächeln und die korrekte Aussprache von“bloß“ zwar nicht so recht gelingen. Am Ende ist er es aber, der den Kopf der Kommunistenbande überführt. Ehrenreich ist die Entdeckung des Films. Von ihm wollen wir mehr sehen.

„Hail, Caesar!“ (USA, GB)
106 Minuten
Darsteller: Josh Brolin, George Clooney, Tilda Swinton, Alden Ehrenreich, Channing Tatum, Scarlett Johansson, Ralph Fiennes, Jonah Hill, Frances McDormand, Christopher Lambert, Fisher Stevens
Regie, Drehbuch, Schnitt: Joel und Ethan Coen
Produktion: Joel und Ethan Coen
Musik: Carter Burwell
Kamea: Roger Deakins

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THE HATEFUL 8 – Was ist los, Mr. Tarantino?

Ein verschneiter Gebirgspass, eisig, unberührt. Nur ein einsames Wegekreuz weist auf die Existenz des Menschen hin. Am Horizont dieser Einöde taucht eine Kutsche auf. Etwas Bedrohliches zerstört die Idylle. Der Kutscher treibt die Pferde an. Ist es der nahende Schneesturm, der den Kutscher zur Eile mahnt? Oder führen seine Passagiere irgendetwas im Schilde?

Der Anfang von Quentin Tarantinos achtem Streich ist grandios, lässt auf etwas ganz Großes hoffen. Dabei hätte es „The Hateful 8″  fast nicht gegeben. Anfang 2014 war Tarantinos Drehbuch, streng von ihm gehütet, illegal im Internet aufgetaucht. Angeblich hatte er es nur sechs Leuten ausgehändigt. Tarantino war über den offensichtlichen Vertrauensbruch so verärgert, dass er drohte, sein Filmprojekt abzublasen. Glücklicherweise überlegte er es sich anders, verpflichtete treue Wegbegleiter wie Samuel L. Jackson, Michael Madsen, Tim Roth, Kurt Russell und Zoe Bell, dazu Bruce Dern, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins und Channing Tatum, um sie in Minnies Miederwarenladen aufeinanderzuhetzen.

Der Film spielt einige Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Die Konstellation von „The Hateful 8“ ist Folgende: ein Kopfgeldjäger mit einer Verbrecherin, ein weiterer Kopfgeldjäger, ein angeblicher Sheriff, ein Cowboy, ein britischer Henker, ein alter Südstaatenoffizier, ein Mexikaner und ein Kutscher. Sind bei mir neun. Aber der Kutscher zählt wohl nicht, obwohl er nach seinem baldigen Dahinscheiden allen Grund hätte, von Hass erfüllt zu sein. Denn plötzlich kommt Gift ins Spiel. Keiner der Überlebenden hat gesehen, wer das Gift in den Kaffee getan hat. Jeder misstraut jedem. Das erinnert an Miss Marple und „Reservoir Dogs“, Tarantinos Erstlingswerk. Letzteres – so verriet der Meister – diente tatsächlich als Inspiration, wie auch „The Thing“ (Das Ding aus einer anderen Welt) – ebenfalls mit Kurt Russell.

Suchspiel: Wer ist der Mörder?

Major Marquis Warren (Jackson) macht auf Margaret Rutherford und will das Rätsel lösen. Ganz richtig schlussfolgert er, dass die Verbrecherbande von Daisy Domergue (Leigh) hinter dem Schlamassel steckt und die zum Tode Verurteilte befreien will. Doch was haben der Cowboy (Madsen) und der Henker (Roth) damit zu tun? Und ist der Sheriff (Goggins) wirklich der, der er vorgibt zu sein?

Quentin Tarantino wäre nicht Quentin Tarantino, hätte er in sein Kammerspiel nicht eine dramaturgische Falltür – genauer gesagt eine Kellerluke samt Zeitsprung – eingebaut. Die Handlung nimmt eine überraschende Wendung, und am Ende sind alle tot. Zu viel verraten?

Eigentlich gibt es an „The Hateful 8“ nichts auszusetzen. Was die Bilder angeht, ist dies wohl Tarantinos bisher schönster Film (bei den Kinogängern, die in den Genuss der Roadshow gekommen sind, war der Eindruck sicher noch stärker). Ennio Morricone, der Musikdirektor aller Spaghetti-Western, komponierte den Soundtrack. Jennifer Jason Leigh gibt eine dermaßen widerwärtige Bösewichtin, dass man ihr nur den Tod wünschen kann. Tim Roth (schön, dass man ihn mal wieder im Kino sieht) liefert in der ersten Hälfte des Film eine beinahe unerträglich-herrliche Christoph-Waltz-Parodie ab. Und natürlich wird es blutig. Eigentlich ein toller Film. Eigentlich. Wieso nur bin ich dennoch unbefriedigt aus dem Kino gekommen?

Wahnwitze Einfälle? Fehlanzeige

Als Tarantino-Fan der ersten Stunde hatte ich etwas anderes erwartet. Etwas Unerwartetes. Ob es „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“, „From Dusk Till Dawn“ (ja, den zähle ich jetzt mal dazu) oder auch die neueren Filme „Inglourious Basterds“ oder „Django Unchained“ waren, am Ende hat man sich als Zuschauer doch immer irgendwie beschwingt gefühlt –  beschwingt von den wahnwitzigen Einfällen (z.B. Mr. Blondes Ohrabschneide-Tanz hier ) und vom furiosen Gemetzel als finaler Höhepunkt.

Und bei „The Hateful 8“? Nichts. Am Ende sind alle tot. So what? Keine Identifikationsfigur, kein Held, kein Mitleid. Keine kultigen Filmzitate, kein Viertelpfünder mit Käse. Überhaupt kein Kult und kein Witz. Stattdessen macht Quentin Tarantino etwas, das er noch nie getan hat. Er wiederholt sich, greift nach „Django Unchained“ erneut das Westernmotiv und den Rassen-Konflikt auf. Ein wichtiges Thema. Aber es bietet keine Überraschungen. Quentin Tarantino wollte einen schönen Film abliefern, schöne Bilder, schöne Musik, die Handlung reduziert auf die acht Protagonisten (oder neun, oder zehn). Das ist ihm gelungen. Was dem Film fehlt, ist das Unberechenbare, die Geistesblitze eines Film-Verrückten, des enfant terrible der Filmemacher. Quentin Tarantino ist erwachsen geworden.

Vor einigen Wochen hat Quentin Tarantino angekündigt, nur noch zwei Filme drehen zu wollen. Mehr stecke nicht mehr in ihm drin. Als Fan der ersten Stunde werde ich diesen Weg mit ihm gehen – egal wohin er führt.

Was haltet ihr von „The Hateful 8“? Hat euch der Film gefallen? Und welcher ist euer liebster Tarantino-Film? Traut euch, und schreibt mir!

„The Hateful 8“ (USA, 2015)
168 Minuten
Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Michael Madsen, Tim Ross, Bruce Dern, Walton Goggins, Zoe Bell, Channing Tatum
Regie/Drehbuch: Quentin Tarantino
Musik: Ennio Morricone
Kamera: Robert Richardson
Schnitt: Fred Raskin
Produktion: Richard N. Gladstein, Shannon McIntosh, Stacey Sher

Lest dazu auch PULP FICTION – Die besten Filme aller Zeiten.

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