James Bond: Warum „Spectre“ viel besser ist, als alle sagen

Langweilig, langatmig, schlichtweg zu lang – und nach „Skyfall“ (2012) eine Enttäuschung. Viele Kritiker lassen kein gutes Haar an „Spectre“, dem neuesten James-Bond-Film.

Habe ich etwa einen anderen Film im Kino gesehen? Mich hat „Spectre“ so sehr gefesselt, dass ich mein Knabberzeug in 148 Minuten kein einziges Mal angerührt habe.

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Offizielles Poster „Spectre“. Foto: Sony Pictures

Vom arroganten Heißsporn über den verbitterten Rächer zum alternden Agenten mit Kindheitstrauma – so haben wir Daniel Craig bei seinen ersten drei Einsätzen als James Bond erlebt. „Skyfall“, der dritte Film der Craig-Reihe, war ein Höhepunkt. Unbestritten. Warum? Weil modernes Action-Kino mit Bond-Nostalgie verwoben wurde. Das fing mit Adeles Titelsong an und setzte sich beim Einsatz des klassischen Aston Martins und der Wiederbelebung von Miss Moneypenny (Naomie Harris) und Quartiersmanager „Q“ (Ben Whishaw) fort.

Auch Bonds Flucht zum Haus seiner Eltern symbolisiert eine Art Rückbesinnung auf vergangene Zeiten. Dass das Haus in den schottischen Highlands nur noch eine Ruine ist und schließlich in die Luft gesprengt wird, steht für ein Innehalten, einen fulminanten Schlusspunkt. Gleichzeitig auch ein Wendepunkt?

Neuanfang nach „Skyfall“?

Nach „Skyfall“ hatten die Bond-Autoren  zwei Möglichkeiten. Erstens: Tatsächlich einen Neuanfang zu wagen – mit neuem Bond-Darsteller und neuem Konzept. Die Variante verpuffte von selbst. Schon vor drei Jahren sickerte durch, dass Daniel Craig für mindestens einen weiteren Film unterschrieben hatte. Zweitens: Die mit „Skyfall“ beschrittenen Pfade fortzusetzten, ohne den Vorgänger zu kopieren. Und so kam es auch.

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Spektakuläre Eröffnung: Regisseur Sam Mendes gibt seinem Star Daniel Craig Anweisungen. Foto: Sony Pictures

Auf den Spuren von „Spectre“

Die Handlung von „Spectre“ setzt da ein, wo „Skyfall“ aufgehört hat – kurz nach dem Tod von Bonds Vorgesetzter „M“ (Judi Dench). In einer letzten Videobotschaft fordert sie ihn auf, einen Mann namens Sciarra zu töten. James Bond ermittelt auf eigene Faust, findet den Schurken und schaltet ihn aus. Bei dessen Beerdigung lernt er nicht nur dessen betörende Witwe (Monica Bellucci) kennen, sondern kommt gleichzeitig der Verbrecherorganisation „Spectre“ auf die Spur. Diese wird von einem alten Bekannten geführt, Bonds Stiefbruder Franz Oberhauser (Christoph Waltz). Gemeinsam mit Madeleine (Lea Seydoux), der Tochter seines einstigen Feindes Mr. White, versucht Bond hinter das Geheimnis von Spectre zu kommen. Eine Jagd über mehrere Kontinente beginnt. Was bitte schön soll daran langweilig sein? Nicht eine einzige Sekunde!

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Schachmatt? James Bond (Daniel Craig) hat in „Spectre“ zu alter Form zurückgefunden. Foto: Sony Pictures

Schon die erste viertel Stunde von „Spectre“ ist atemberaubend. Tausende Menschen sind in Mexiko-Stadt auf den Straßen und feiern den Tag der Toten. Über ihren Köpfen versucht James Bond einen Terroristen zu überwältigen – in einem Hubschrauber, der bedrohlich tief über den Massen kreist. Das ist Nervenkitzel, das ist Spannung. Das ist Actionkino pur. Wie auch die Verfolgungsjagden durch die Straßen Roms, über die Themse und durch die Alpen – zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Während James Bond in „Skyfall“ körperlich und mental schwächelte, hat er in „Spectre“ zu alter Form zurückgefunden. So wie auch Daniel Craig. Er verleiht der in die Jahre gekommenen Figur nicht nur erneut Glaubwürdigkeit und Tiefe. Craig absolviert auch mit Mitte 40 die meisten Stunts selbst. Nur auf Nacktszenen wollte er diesmal verzichten. Gleichzeitig verblüfft er mit einer neuen Qualität: Humor. Ja, man darf lachen über den bisher eher staubtrockenen Agenten – etwa wenn sich James Bond im Zwiegespräch mit einer Maus befindet.

Bondgirl ohne Sexappeal?

Als Bondgirl wurde ihm Lea Seydoux zur Seite gestellt. Viel wurde über die französische Actrice gelästert. Ihr fehle es an Sexappeal, sie könne Kollegin Monica Bellucci nicht das Wasser reichen und, und, und. Alles Quatsch: Die Französin ist bildhübsch. Sie verkörpert die zuerst sehr spröde agierende Madeleine natürlich, verletzlich und kämpferisch zugleich. Nachdem Bond zuletzt nur brünette Gespielinnen verführen durfte, sorgt die Blondine für frischen Wind – und zwar nicht nur im Bett des Geheimagenten.

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Verbündete: Madeleine Swann (Lea Seydoux) und James Bond (Daniel Craig). Foto: Sony Pictures

Christoph Waltz überzeugt einmal mehr als kriminelles Mastermind. Sein Franz Oberhauser, so stellt sich heraus, steckt hinter allen privaten Krisen im Leben von James Bond: dem Tod seiner großen Liebe Vesper, dem Mord an „M“. Denn Oberhauser ist nicht nur ein einfacher Schurke, sondern ein Psychopath – zerfressen von Eifersucht und Hass auf seinen Stiefbruder. Leider wirkt Christoph Waltz nach seinen Auftritten in „Inglorious Basterds“ und „Django Unchained“ inzwischen so routiniert als feingeistiger und wortgewandter Bösewicht, dass er nicht mehr wirklich überrascht.

Daniel Craig vor Abschied?

Der Film endet, wie er angefangen hat: mit einer Verfolgungsjagd und einer Explosion – und mit der Erkenntnis, dass das Doppel-Null-Programm des britischen Geheimdiensts alles andere als antiquiert ist. Zwar sind digitale Überwachung, Drohnen und weltweite Vernetzung auf dem Vormarsch, dennoch gehören Agenten wie James Bond noch lange nicht zum alten Eisen. Die Fans der Filmreihe wird’s sicherlich freuen.

Und was erwartet uns als nächstes? Mit „Spectre“ hätte Daniel Craig den perfekten Abgang als James Bond gehabt. Mit seiner Geliebten im Arm verschwindet er im Londoner Nebel – um nach vier Einsätzen Platz zu machen für einen neuen Bond? Wer weiß. Über kurz oder lang wird sich der Nebel verflüchtigen. Wer dann mit der Pistole in der Hand heraustritt, ist derzeit Hollywoods bestgehütetes Geheimnis. Wir warten mit angehaltenem Atem 🙂

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„Spectre“ (2015), 148 Minuten
Darsteller: Daniel Craig, Christoph Waltz, Lea Seydoux, Ralph Fiennes, Ben Whishaw, Naomie Harris, Dave Batista, Monica Bellucci, Andrew Scott, Rory Kinnear, Jesper Christensen, Stephanie Sigman
Regie: Sam Mendes
Drehbuch: John Logan, Neal Purvis, Robert Wade, Jez Butterworth
Produktion: Michael G. Wilson, Barbara Broccoli
Musik: Thomas Newman, Titelsong: Sam Smith
Kamera: Hoyte van Hoytema
Schnitt: Lee Smith