THE HATEFUL 8 – Was ist los, Mr. Tarantino?

Ein verschneiter Gebirgspass, eisig, unberührt. Nur ein einsames Wegekreuz weist auf die Existenz des Menschen hin. Am Horizont dieser Einöde taucht eine Kutsche auf. Etwas Bedrohliches zerstört die Idylle. Der Kutscher treibt die Pferde an. Ist es der nahende Schneesturm, der den Kutscher zur Eile mahnt? Oder führen seine Passagiere irgendetwas im Schilde?

Der Anfang von Quentin Tarantinos achtem Streich ist grandios, lässt auf etwas ganz Großes hoffen. Dabei hätte es „The Hateful 8″  fast nicht gegeben. Anfang 2014 war Tarantinos Drehbuch, streng von ihm gehütet, illegal im Internet aufgetaucht. Angeblich hatte er es nur sechs Leuten ausgehändigt. Tarantino war über den offensichtlichen Vertrauensbruch so verärgert, dass er drohte, sein Filmprojekt abzublasen. Glücklicherweise überlegte er es sich anders, verpflichtete treue Wegbegleiter wie Samuel L. Jackson, Michael Madsen, Tim Roth, Kurt Russell und Zoe Bell, dazu Bruce Dern, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins und Channing Tatum, um sie in Minnies Miederwarenladen aufeinanderzuhetzen.

Der Film spielt einige Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Die Konstellation von „The Hateful 8“ ist Folgende: ein Kopfgeldjäger mit einer Verbrecherin, ein weiterer Kopfgeldjäger, ein angeblicher Sheriff, ein Cowboy, ein britischer Henker, ein alter Südstaatenoffizier, ein Mexikaner und ein Kutscher. Sind bei mir neun. Aber der Kutscher zählt wohl nicht, obwohl er nach seinem baldigen Dahinscheiden allen Grund hätte, von Hass erfüllt zu sein. Denn plötzlich kommt Gift ins Spiel. Keiner der Überlebenden hat gesehen, wer das Gift in den Kaffee getan hat. Jeder misstraut jedem. Das erinnert an Miss Marple und „Reservoir Dogs“, Tarantinos Erstlingswerk. Letzteres – so verriet der Meister – diente tatsächlich als Inspiration, wie auch „The Thing“ (Das Ding aus einer anderen Welt) – ebenfalls mit Kurt Russell.

Suchspiel: Wer ist der Mörder?

Major Marquis Warren (Jackson) macht auf Margaret Rutherford und will das Rätsel lösen. Ganz richtig schlussfolgert er, dass die Verbrecherbande von Daisy Domergue (Leigh) hinter dem Schlamassel steckt und die zum Tode Verurteilte befreien will. Doch was haben der Cowboy (Madsen) und der Henker (Roth) damit zu tun? Und ist der Sheriff (Goggins) wirklich der, der er vorgibt zu sein?

Quentin Tarantino wäre nicht Quentin Tarantino, hätte er in sein Kammerspiel nicht eine dramaturgische Falltür – genauer gesagt eine Kellerluke samt Zeitsprung – eingebaut. Die Handlung nimmt eine überraschende Wendung, und am Ende sind alle tot. Zu viel verraten?

Eigentlich gibt es an „The Hateful 8“ nichts auszusetzen. Was die Bilder angeht, ist dies wohl Tarantinos bisher schönster Film (bei den Kinogängern, die in den Genuss der Roadshow gekommen sind, war der Eindruck sicher noch stärker). Ennio Morricone, der Musikdirektor aller Spaghetti-Western, komponierte den Soundtrack. Jennifer Jason Leigh gibt eine dermaßen widerwärtige Bösewichtin, dass man ihr nur den Tod wünschen kann. Tim Roth (schön, dass man ihn mal wieder im Kino sieht) liefert in der ersten Hälfte des Film eine beinahe unerträglich-herrliche Christoph-Waltz-Parodie ab. Und natürlich wird es blutig. Eigentlich ein toller Film. Eigentlich. Wieso nur bin ich dennoch unbefriedigt aus dem Kino gekommen?

Wahnwitze Einfälle? Fehlanzeige

Als Tarantino-Fan der ersten Stunde hatte ich etwas anderes erwartet. Etwas Unerwartetes. Ob es „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“, „From Dusk Till Dawn“ (ja, den zähle ich jetzt mal dazu) oder auch die neueren Filme „Inglourious Basterds“ oder „Django Unchained“ waren, am Ende hat man sich als Zuschauer doch immer irgendwie beschwingt gefühlt –  beschwingt von den wahnwitzigen Einfällen (z.B. Mr. Blondes Ohrabschneide-Tanz hier ) und vom furiosen Gemetzel als finaler Höhepunkt.

Und bei „The Hateful 8“? Nichts. Am Ende sind alle tot. So what? Keine Identifikationsfigur, kein Held, kein Mitleid. Keine kultigen Filmzitate, kein Viertelpfünder mit Käse. Überhaupt kein Kult und kein Witz. Stattdessen macht Quentin Tarantino etwas, das er noch nie getan hat. Er wiederholt sich, greift nach „Django Unchained“ erneut das Westernmotiv und den Rassen-Konflikt auf. Ein wichtiges Thema. Aber es bietet keine Überraschungen. Quentin Tarantino wollte einen schönen Film abliefern, schöne Bilder, schöne Musik, die Handlung reduziert auf die acht Protagonisten (oder neun, oder zehn). Das ist ihm gelungen. Was dem Film fehlt, ist das Unberechenbare, die Geistesblitze eines Film-Verrückten, des enfant terrible der Filmemacher. Quentin Tarantino ist erwachsen geworden.

Vor einigen Wochen hat Quentin Tarantino angekündigt, nur noch zwei Filme drehen zu wollen. Mehr stecke nicht mehr in ihm drin. Als Fan der ersten Stunde werde ich diesen Weg mit ihm gehen – egal wohin er führt.

Was haltet ihr von „The Hateful 8“? Hat euch der Film gefallen? Und welcher ist euer liebster Tarantino-Film? Traut euch, und schreibt mir!

„The Hateful 8“ (USA, 2015)
168 Minuten
Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Michael Madsen, Tim Ross, Bruce Dern, Walton Goggins, Zoe Bell, Channing Tatum
Regie/Drehbuch: Quentin Tarantino
Musik: Ennio Morricone
Kamera: Robert Richardson
Schnitt: Fred Raskin
Produktion: Richard N. Gladstein, Shannon McIntosh, Stacey Sher

Lest dazu auch PULP FICTION – Die besten Filme aller Zeiten.

Mit einem Klick auf meine Facebook-Seite verpasst ihr keinen meiner Beiträge.

17 Gedanken zu “THE HATEFUL 8 – Was ist los, Mr. Tarantino?

  1. Also diese Filmkritik macht mich unheimlich neugierig. Als eingefleischter Tarantino Fan, als Fan eines Filmkünstlers bei dem man das Gefühl hat, das er die Schauspieler schon in bestimmten Rollen sieht noch bevor er eine Zeile des Drehbuchs geschrieben hat. Eines Visionärs der es verstanden hat bereits bekannte Stilmittel im Film so gekonnt einzusetzen, das das Ergebnis das Original übertrifft. Der Dialoge im Film, mit teilweise trivialen Inhalt, so verpacken kann das sich auch nach Jahren jeder an das metrische System erinnern kann oder daran wo man Erbstücke lange Zeit sicher aufbewahren kann. Vieleicht hast Du Recht und Tarantino ist erwachsen geworden und gleichzeitig ist die kindliche naive Begeisterung für Filme (der Kinosaal war sicher sein zweites zu Hause) gestorben und einer berechenbaren, fast kommerziellen neuen Art gewichen. Das wäre echt schade, denn gerade das machte seine Filme bisher so sehenswert.

    Gefällt 1 Person

    • Schön, dass dir die Rezension gefällt. Vielleicht hast du ja bald die Möglichkeit, den Film zu schauen. Dann reden wir noch einmal. Ansonsten wünsche ich euch eine ruhige Nacht mit ein bisschen Schlaf 😊

      Like

  2. Wir hatten irgendwie auch so ein kleines Problemchen mit dem Film. Der große Tarantino, aber irgendwie bleibt die Überraschung aus. Nur blutrünstig und clevere Dialoge sind eben nicht alles 🙂

    Like

    • Danke für deinen Kommentar. Dann gleichen sich unsere Meinungen ja☺. Wie schon geschrieben, schlecht fand ich den Film nicht. Aber ich habe danach lange gerätselt, warum ich enttäuscht war.

      Like

      • Das gewisse magische Tarantino-Etwas, das seine Filme so besonders macht, wars glaub‘ ich. Weil Hateful 8 war ziemlich nah am „Standard-Kino“ dran, und das ist für Tarantino ja eigentlich eine Beleidigung. 🙂

        Gefällt 1 Person

  3. Pingback: Oscar für Besserwisser | Cinemagisch

  4. Pingback: Na endlich – Leo kriegt den Oscar | Cinemagisch

  5. Pingback: HAIL, CAESAR! – Liebeserklärung an die Filmbranche der 50er | Cinemagisch

  6. Pingback: Bleib besonders – Die Insel der besonderen Kinder | Cinemagisch

Hinterlasse einen Kommentar