Kein Platz für Helden – THE REVENANT

In „The Revenant“ gibt es keinen Helden. In Alejandro G. Inarritus neuestem Streich geht es ums Überleben, um die Natur  – und um die Natur des Menschen.

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Mit Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) ist nicht zu spaßen. Das bekommt auch ein Grizzly zu spüren.  Foto: 20th Century Fox

Pelzig im Abgang

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts schlägt sich eine Truppe Männer durch die Wälder der Great Plains. Unter ihnen sind Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) und sein Sohn Hawk, ein Halbindianer. Sie erschießen Tiere, haben es auf deren Felle abgesehen. Der Handel mit Pelzen ist in jener Zeit äußerst lukrativ. Doch Expeditionen wie diese bergen nicht nur Abenteuer, sondern auch Gefahren. Die Männer wildern auf dem Territorium der Arikaree-Indianer. Die sehen die Eindringlinge gar nicht gern und verteidigen Tiere und Land mit Pfeil und Bogen. Bei einem dieser Angriffe werden die Trapper um Hugh Glass bis auf ein Drittel dezimiert. Nur wenige können sich auf ein Boot retten. Den Großteil der Pelze müssen sie zurücklassen. Und es kommt noch heftiger: Glass wird von einer Grizzlybärin so übel zugerichtet, dass er für seine Compagnons nur noch eine Bürde ist. Sie lassen den Halbtoten zurück.

Der Ex-Soldat John Fitzgerald (Tom Hardy), der junge Jim Bridger (Will Poulter) und Hawk bleiben bei Glass. Nicht etwa, um ihn zusammenzuflicken oder um ihm gar Trost zu spenden. Weit gefehlt. Die Männer verlieren keine Zeit und heben schon mal vorsorglich ein Grab aus. Weil Glass aber nicht so schnell stirbt, wie Fitzgerald es gern hätte, hilft er nach. Hawk will seinen Vater retten, wird aber von Fitzgerald erstochen. Der flüchtet danach mit dem ahnungslosen Bridger. Glass bleibt nichts weiter als ein Bärenfell, eine Trinkflasche und sein Durst nach Rache.

Nun ist der Wunsch nach Lynchjustiz zwar nachvollziehbar, aber wenig nett. Für Glass ist er jedoch Antrieb und Rettung zugleich. Leben regt sich in dem Bärenopfer. Glass robbt durch den Schnee, fällt einen Wasserfall hinunter, fängt Fische mit der bloßen Hand (Gollum-Alarm), freundet sich mit einem Indianer an und kommt dessen sterbendem Pferd in Ermangelung einer wärmenden Decke erstaunlich nah. Als er schließlich im Fort der Trapper ankommt, ist er wieder fit wie ein Turnschuh und bereit, Fitzgerald zu jagen.

Leo ohne Läuterung

Für die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences ist „The Revenant“ der Film des Jahres. Mit zwölf Nominierungen ist das Survival-Abenteuer der Oscarfavorit Nummer 1. Es ist höchst erstaunlich, wie der Mexikaner Alejandro G. Inarritu nur ein Jahr nach „Birdman“ den nächsten Hochkaräter raushaut. Diesmal zog es den Filmemacher aber nicht in die gut geheizten Kulissen einer Theaterproduktion, sondern in die ungemütlichen Weiten des amerikanischen Nordwestens. Eine Strapaze für die gesamte Crew – und vor allem für den Hauptdarsteller, will man Leonardo DiCaprio Glauben schenken. Unzählige Male sei er während der Dreharbeiten an seine körperlichen und seelischen Grenzen gestoßen, jammerte er publicitywirksam in Interviews. Dazu muss man festhalten: DiCaprio wurde nicht von einem echten Bären gerissen. (An dieser Stelle Hut ab vor den Computertüftlern. Der Bär ist grandios.) Auch stürzte er nicht leibhaftig in einen Wasserfall. Insgesamt fünf Stuntmen sind im Abspann allein für Herrn DiCaprio gelistet. Warum auch nicht. Der Mann ist Schauspieler und nicht lebensmüde.

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Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) dürstet es nach Rache.  Foto: 20th Century Fox

Wenn die Academy-Mitglieder DiCaprio den Oscar nach vier Anläufen endlich geben wollen – bitte schön. Nur wenig erinnert an den „Titanic“-Helden vergangener Tage. DiCaprios Vorstellung mit Zottelbart und strähniger Matte ist auf unangenehme Weise mitreißend. Und dafür braucht es nur wenige Worte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht grunzt und hechelt er sich durch die Prärie. Seine Frostbeulen kann man förmlich spüren. (War euch auch so kalt im Kino?) DiCaprio gefällt sich inzwischen in der Rolle des Antihelden. Ob „Aviator“, „Blood Diamant“, „Departed“ oder „Wolf of Wallstreet“. DiCaprio sucht den Zwiespalt, die Schwächen, die Abgründe eines Menschen. Sein Glass ist kein Superman. Er ist ein Wilderer, ein Mörder – aus welchen Beweggründen auch immer. So entwickelt man als Zuschauer wenig Sympathie für den Geschundenen. Man sieht ihn leiden, kann nicht wegschauen, auch wenn es unerträglich ist. Glass bedient neben seinem unerschütterlichen Überlebenswillen auch Charakterschwächen wie Habgier und Rachsucht. Dass man ihm dennoch die Daumen drückt, ist DiCaprios Verdienst.

Was seiner Figur allerdings fehlt, ist die Läuterung am Ende. So tötet Glass seinen Widersacher zwar nicht selbst, überlässt ihn aber auch nicht Gottes Gnade, sondern den Arikaree-Indianern, die messerwetzend lauern. Auch mit der Natur söhnt er sich nicht aus. Nur als Teil von ihr, ob im Pferdekadaver oder im Fluss, gelingt es dem Wilderer zu überleben. Ein Umdenken findet nicht statt. So beschreitet der (Anti)Held seine Reise zwar äußerlich, aber nicht in seinem Inneren. Ein unbefriedigendes Ende.

Apropos Antiheld: Tom Hardy ist als Bösewicht Fitzgerald eine Wucht. Hinter Hardys Augen blitzt der Wahnsinn. Sein eiskalter Fitzgerald lässt einen viel mehr frösteln als der ewige Winter in den Bergen.

Die eigentlichen Stars des Films sind aber nicht DiCaprio und Hardy, sondern die Natur und Kameramann Emmanuel Lubezki. In seinen Totalen fängt der Mexikaner monochrome Landschaften ein, in denen die Menschen klein und unbedeutend wirken. Dann wieder ist die Kamera ganz dicht dran an DiCaprio, beschlägt von seinem Atem, kriecht mit ihm durchs Unterholz, windet sich unter dem Grizzly. Wiederkehrend sind die extremen Untersichten – wenn der Verletzte nachts im Wald liegt und sich die vom Frost erstarrten Baumkronen knarzend im Wind wiegen. Sollte Kameramann Lubezki hierfür keinen Oscar gewinnen, fresse ich einen Bären 🙂

The Revenant – Der Rückkehrer (USA 2015)
156 Minuten

Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson, Will Poulter, Forrest Goodluck, Paul Anderson, Kristoffer Joner
Regie: Alejandro G. Inarritu
Drehbuch: Mark L. Smith, Alejandro G. Inarritu
Kamera: Emmanuel Lubezki
Schnitt: Stephen Mirrione
Musik: Bryce Dessner, Alva Noto, Ryuichi Sakamoto
Produktion: Steve Golin, Alejandro G. Inarritu, David Kanter, Arnon Milchan, Mary Parent, Keith Redmon, James W. Skotchdopole

 

Wart ihr schon im Kino? Drückt ihr „The Revenant“ die Daumen? Oder was ist eure Meinung? Schreibt mir.

Lest dazu auch „Warten auf Oscar – die Nominierungen“.

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9 Gedanken zu “Kein Platz für Helden – THE REVENANT

  1. Ich stimme dir zu, das Ende ist sehr rührselig geworden. Ich fand den Aspekt der Läuterung in deiner Review sehr interessant. Hast du erwartet, dass Glass am Ende einfach von seinem Wiedersacher ablässt bzw. ein Bäumchen pflanzt um sich mit der Natur auszusöhnen? Ich glaube, die Läuterung darf deshalb nicht passieren, weil es ein Western ist. Da muss es einfach einen Guten und einen Bösen geben und der Gute muss den Bösen am Ende vernichten (wie ist ja egal).

    Hier meine Review: https://filmkompass.wordpress.com/2016/01/07/the-revenant-2015/

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    • Hi Franziska, das ist ja genau der Punkt. Für mich gab es keinen Guten. Ich hätte es passend und als rund empfunden, wenn Glass am Ende von einer Lawine verschüttet oder auch von Indianern zur Strecke gebracht worden wäre. So wie es dem echten Glass wiederfahren ist. Die Figur war so angelegt. Im klassischen Drama begibt sich der Protagonist immer auf eine innere Reise, entwickelt sich in seiner Persönlichkeit weiter und /oder stirbt.

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  2. Das möchte ich sehen, dass Du nen Bären verdrückst. 🙂 Die Arbeit der anderen 4 Kameramänner ist aber auch grandios. Ich würde, glaube ich, „Mad Max: Fury Road“ vorziehen, aber ich bekomme die Bilder dieses Films auch nicht mehr aus meinem Kopf und der Film liegt bei mir schon monatelang zurück.

    Du siehst, ich habe die Kommentarfunktion gefunden. 🙂

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